Interview mit Prof. Dr. Anja Lüthy

Warum tun sich Firmen so schwer, Frauen 47+ einzustellen?

Prof. Dr. Lüthy: Unternehmen zögern, Frauen im Alter von 47 Jahren oder älter einzustellen, weil immer noch Vorurteile und Stereotype in ihren Köpfen existieren. Folgende fallen mir ein:

  • Ältere Arbeitnehmerinnen werden als weniger flexibel, weniger technologieaffin oder weniger anpassungsfähig angesehen, was jedoch ein Mythos ist.
  • Frauen 47+ haben häufiger als Männer Karrierepausen in Anspruch genommen, beispielsweise für die Familiengründung, die Kindererziehung oder die Pflege ihrer Eltern. Diese Unterbrechungen werden von Arbeitgebern als Mangel an beruflichen Erfahrungen oder Aktualität in ihrem Fachgebiet interpretiert. 
Daraus folgt, dass Unternehmen möglicherweise nicht den Wert der Lebens- und Arbeitserfahrung erkennen, den ältere Arbeitnehmerinnen mitbringen, einschließlich Führungsqualitäten, Fachwissen und emotionaler Intelligenz.
  • Arbeitgeber nehmen an, dass ältere Frauen weniger flexibel hinsichtlich der Arbeitszeit sind und weniger bereit sind, Überstunden zu machen. Dabei sind gerade Frauen 47+, deren Kinder aus dem Haus sind, deren Partner:innen einer geregelten Arbeit nachgehen, sehr flexibel in ihrer Zeitgestaltung und haben den Kopf frei, um Engagement an Arbeitsplätzen zu zeigen.
  • Auch zur Gleichstellung der Geschlechter gibt es immer noch haarsträubende Stereotype über die Rollen und Fähigkeiten von Frauen, insbesondere in bestimmten Branchen oder hinsichtlich Führungspositionen in den Spitzenetagen von Unternehmen. Das Argument „Du bist noch nicht so weit, Karriere zu machen“ kann ja auf Frauen mit 47 + nicht mehr zutreffen. Trotzdem berichten mir Frauen in dieser Altersgruppe während meiner Coachings, dass ihnen genau das entgegnet wird, wenn sie sich ab Mitte 40 auf Spitzenpositionen bewerben.

Was hätten Unternehmen davon, Frauen 47+ einzustellen?

Prof. Dr. Lüthy: Das Einstellen älterer Frauen ist tatsächlich eine wertvolle Strategie zur Bewältigung des Fachkräftemangels, wenn spätestens 2035 ungefähr sieben Millionen Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt fehlen werden. Zumal Frauen mit 47 Jahren noch 20 Jahre lang ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen können, bis sie das gesetzlich vorgeschriebene Rentenalter erreichen. Dieses Potenzial von Millionen von Frauen in Zeiten des Fachkräftemangels nicht auszuschöpfen, ist eigentlich fahrlässig.

Ältere Frauen bringen gerade dann, wenn sie über Jahre erfolgreich einen Haushalt, eine Familie und ihre Kinder gemanagt haben, eine Fülle von Lebenserfahrung, ein reiches Managementwissen und ausgeprägte Soft Skills mit, die sie bestens dafür qualifizieren, in Unternehmen Teams zu führen. Außerdem verfügen sie über umfangreiche Erfahrungen und ein tiefes Verständnis aus der Branche, aus der sie beruflich kommen. Ihre Erfahrungen können besonders wertvoll sein, um komplexe Probleme zu lösen und gerade jüngere Kolleg:innen anzuleiten.
Nach meiner Erfahrung sind gerade ältere Mitarbeiter:innen besonders zuverlässig, motiviert und engagiert. Sie verfügen bestenfalls auch über ein starkes berufliches Netzwerk, das auch für Unternehmen wertvoll ist.

Es ist ja aber auch nicht falsch, dass die Energie, die Flexibilität bei manchen Menschen mit dem Älterwerden nachlässt.
Ist es nicht verständlich, dass Unternehmen keine Lust auf ältere Menschen haben?

Prof. Dr. Lüthy: Es ist richtig, dass bei Menschen grundsätzlich mit dem Älterwerden Veränderungen hinsichtlich geistiger und körperlicher Fähigkeiten auftreten. Auch das menschliche Gedächtnis lässt mit zunehmendem Lebensalter nach – darüber habe ich vor mittlerweile 35 Jahren promoviert. Im Rahmen der sogenannten „fluiden Intelligenz“, also der grundlegenden Prozesse des Denkens, lassen kognitive Fähigkeiten im Alter nach – zum Beispiel die Gedächtnisspanne. Die Fähigkeiten im Bereich der „kristallinen Intelligenz“, das heißt, der Fähigkeit erworbenes Wissen anzuwenden, nehmen im Alter aber zu; das ist uns allen ja unter dem Begriff „Altersweisheit“ bekannt.
Ich kann Unternehmen nur dringend raten, sich nicht aufgrund von Altersstereotypen zu entscheiden, Frauen 47+ einzustellen, sondern ihre individuellen Fähigkeiten und Qualifikationen zu betrachten. Die Forschung zeigt, sowohl jüngere als auch ältere Mitarbeiter:innen in Arbeitsabläufe einzubeziehen, führt in Unternehmen zu betriebswirtschaftlichem Erfolg.

Unternehmen versuchen durch verschiedenste Anreize, Ältere zum Rückzug aus der Arbeitswelt zu bewegen. Welche Folgen hat das für die Firmen?

Prof. Dr. Lüthy: Wenn Unternehmen das tun, muss ihnen klar sein, dass das kurz- oder langfristig negative Folgen hat. Unternehmen sollten Folgendes bedenken, ehe sie sich von erfahrenen Mitarbeiter:innen verabschieden:

  • Ältere Mitarbeiter bringen eine Fülle von Wissen und Erfahrung mit, die sie über Jahrzehnte hinweg erworben haben. Ihr Weggang führt zu einem signifikanten Verlust an Expertise. Es gilt das Motto: „Jüngere sind zwar schneller, aber Ältere wissen die Abkürzung.“
  • Neue Mitarbeiter:innen, insbesondere jüngere ohne vergleichbare Erfahrung, benötigen viel Zeit und umfangreiche Ressourcen, um auf das gleiche Leistungsniveau älterer Kolleg:innen zu kommen. Dies führt natürlich zu erhöhten Kosten im Rahmen des Onboardings, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter:innen sorgfältig einzuarbeiten und dafür auch Geld für Schulungen notwendig ist.
  • Der Verlust älterer Mitarbeiter:innen beeinflusst die Unternehmenskultur negativ: Gerade langjährige Mitarbeiter:innen haben einen positiven Einfluss auf die Kultur eines Unternehmens. Sie sind oft Mentoren und Persönlichkeiten, die die DNA des Unternehmens prägen. Ihr Weggang kann die Dynamik in Teams verändern und sich negativ auf deren Arbeitsmoral auswirken.
  • Wenn öffentlich bekannt wird, dass ein Unternehmen ältere Arbeitnehmer:innen systematisch zum Rückzug drängt, kann dies zu einem Reputationsverlust führen. Dies kann sich sowohl auf das Nachfrageverhalten von Kunden als auch auf die Magnetwirkung, junge, talentierte Mitarbeiter:innen anzuziehen, auswirken.

Sie sagen, dass wir eine Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle brauchen. Wie könnte die aussehen im Hinblick auf die Beschäftigung von Frauen 47+?

Prof. Dr. Lüthy: Eine Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen ist natürlich für alle Arbeitnehmer:innen von Vorteil. Arbeitszeitflexibilisierung trägt dazu bei, die Arbeit besser an Lebensumstände und Bedürfnisse anzupassen. Das werden wir in Zukunft verstärkt erleben. Wichtige Bausteine sind:

  • Ermöglichung von Teilzeitarbeit oder Stundenreduzierung, um Frauen, die zusätzliche Verpflichtungen haben wie zum Beispiel die Betreuung ihrer hochbetagten Eltern oder Enkelkinder, zu entlasten.
  • Angebot von flexiblen Arbeitszeiten und Gleitzeitmodellen, bei denen die Mitarbeiter:innen ihren Arbeitsbeginn und -ende innerhalb gewisser Zeitfenster selbst bestimmen können. Dies ermöglicht es ihnen, ihre Arbeit mit anderen Verpflichtungen zu koordinieren.
  • Angebot, im Homeoffice remote zu arbeiten, um Pendelzeiten zu reduzieren und eine bessere Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu ermöglichen.
  • Ermöglichung von Jobsharing, bei dem sich zwei Personen eine Vollzeitstelle teilen. Dies kann besonders attraktiv für diejenigen sein, die aus familiären oder persönlichen Gründen nicht in Vollzeit arbeiten wollen oder können.
  • Angebot von längeren Auszeiten oder Sabbaticals, die es ermöglichen, sich eine Auszeit von der Arbeit zu nehmen, um persönlichen Interessen oder Verpflichtungen nachzugehen, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren.
  • Einführung flexiblerer Übergänge in den Ruhestand, wie zum Beispiel schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit oder projektbezogene Arbeit, um den Übergang zu erleichtern.

Darüber hinaus sollten flexible Arbeitsmodelle auch für ältere Mitarbeiter:innen Möglichkeiten für kontinuierliche Weiterbildung und berufliche Entwicklung bieten, um deren Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.

Sinnvoll ist auch die Einbindung von gesundheitsfördernden Maßnahmen in flexible Arbeitsmodelle, wie zum Beispiel die Möglichkeit, während der Arbeitszeit Bewegungspausen oder Angebote im Bereich betrieblicher Gesundheitsförderung in Anspruch zu nehmen.

 

Portrait von Prof. Dr. Anja Lüthy

Prof. Dr. Anja Lüthy, 61, ist Diplompsychologin und Diplomkauffrau (FH) sowie Professorin an der TH Brandenburg. Als Professorin lehrt sie seit 2001 Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunktfach "Dienstleistungsmanagement und -marketing" an der TH Brandenburg.
Neben Vorlesungen in ihrem Schwerpunktfach lehrt sie die Fächer Allgemeine BWL, Personalmanagement und das Fach "Digitales Selbstmarketing in Zeiten der Digitalisierung – Personal Branding via Social Media“.
Außerdem ist Anja Lüthy Speakerin und Coach. Als Trainerin ist sie auf Führungskräfte in deutschen Krankenhäusern und Universitätskliniken spezialisiert. Sie hat zwei Bücher zum Thema Mitarbeiterentwicklung und Social Media und Online-Kommunikation in Krankenhäusern veröffentlicht.